Zum Amoklauf in Winnenden
„Aggressionen brauchen Ventile“
Interview mit Dr. Stephan Lermer. Antje Karbe, Mittelbayerische Zeitung, 11.3.2009
Wie verbringt mein Kind seine Zeit? Dr. Lermer rät Eltern, genau hinzuschauen
Was bewegt einen Jugendlichen, der wild um sich schießt? „Auch hier kamen mehrere Ursachen zusammen“, ist sich der Münchner Psychologe Dr. Stephan Lermer sicher. Dass im Elternhaus des Amokschützen 18 Waffen gefunden wurden, könne beispielsweise einer sein. „Andere Jugendliche hätten gar keinen Zugriff auf Waffen – Verfügbarkeit macht verführbar.“ Auch die Parallele zum gestrigen Amoklauf in den USA sei auffällig. „Das könnte durchaus ein Auslöser gewesen sein, der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.“
Grundsätzlich seien aggressive Fantasien bei Jugendlichen nicht unnormal, sagt Lermer. „Die Pubertät ist eine Revolutionsphase, ein hormoneller Ausnahmezustand. In dieser Zeit muss man viel leisten, enorme Frustrationstoleranz aufbringen und bekommt zu wenig Anerkennung dafür – ob in Form von Geld oder einer Freundin.“ Die Frage sei nur, wie sich Frust und Aggressionen dann entladen.
„Das ist auch auf positive Weise möglich, durch Sport, Kunst oder Lachen, zum Beispiel.“ Solche Ventile fehlten vielen Jugendlichen zunehmend. „Wenn jemand zuhause hockt, werden Energien nicht mehr motorisch entladen.“ Hier seien zuallererst Eltern gefragt. „Schauen Sie sich die Freunde ihres Kindes an“, rät er. „Mit wem verbringt er seine Zeit, welche Themen und Fantasien bewegen es.“ Ein Warnzeichen sei, wenn es überhaupt keine Freunde gebe, „dann fehlt das Regulativ“. Auch die Gesellschaft sei gefragt, genau hinzuschauen. „Damit problematische Jugendliche nicht in die falschen Fantasien abdriften.“ Das müsse man aus Winnenden lernen: „Wir müssen solche Themen mehr diskutieren und an Schulen noch psychologischer aufklären.“
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