Produktive Tagträume
Sich seinen Tagträumen hingeben, die Gedanken schweifen lassen – diese allzu menschlichen Verhaltensweisen gelten im Allgemeinen als unproduktiv und haben damit zumindest in der deutschen Kultur ein negatives Image.
Einen Beleg dafür, dass sich die Dinge ganz anders verhalten, liefert jetzt eine Untersuchung der University of Columbia. Studenten sollten dort langweilige Routineaufgaben bearbeiten, während ihre Hirnaktivität im Kernspintomographen überwacht wurde. Gleichzeitig wurde ihr Aufmerksamkeitsniveau gemessen, so dass Perioden von konzentrierter Aufgabenfokussierung und gelangweilten Gedankenschweifens voneinander abgegrenzt werden konnten.
Aufgabenfokussiertes Problemlösen und gelangweiltes Bearbeiten von Routineaufgaben beanspruchen unterschiedliche Netzwerke von Nervenzellen im Gehirn. So kann man ein „exekutives Netzwerk“, das für aktive Problemlöseprozesse verantwortlich ist, unterscheiden von einem „default Netzwerk“, das bei Routineaufgaben eine Art gleichmäßige Überwachungsaufgabe übernimmt.
Die Forscher um Prof. Kalina Christoff fanden nun Erstaunliches: Gerade wenn ihre studentischen Versuchspersonen ihre Aufmerksamkeit von der langweiligen Routineaufgabe abzogen und anfingen, ihre „Gedanken wandern zu lassen“, wurde das exekutive Netzwerk – zusätzlich – zum Routine-Netzwerk aktiv.
Diese gleichzeitige Aktivierung der beiden Netzwerke wurde bisher ausschließlich beim Tagträumen beobachtet. Faszinierend ist dabei auch, dass während der Tagträume gerade das Netzwerk für komplexes Problemlösen aktiv wird. Prof. Christoff fasst das erstaunliche Ergebnis zusammen: „Die Studie zeigt, dass unsere Gehirne beim Tagträumen viel aktiver sind, als wenn wir uns auf die Routineaufgaben selbst konzentrieren.“
Offensichtlich lösen wir also also beim Tagträumen dringendere Probleme als die unmittelbar vorliegenden täglichen Routineaufgaben – möglicher Weise auch unbewusst. Prof. Christoff: „Beim Tagträumen erreichen Sie vielleicht nicht ihr unmittelbar vorliegendes Ziel – zum Beispiel ein Buch lesen oder im Unterricht aufpassen – aber es kann sein, dass Ihr Gehirn sich diese Zeit nimmt, um sich mit wichtigeren und weitaus komplexeren Fragen zu beschäftigen, wie mit persönlichen Beziehungen oder der eigenen Karriereplanung.“
Die Untersuchung liefert auch einen Hinweis darauf, warum die besten Ideen und Entscheidungen gerade in den Momenten entstehen, wenn scheinbar „über nichts besonderes nachgedacht“ wird (wir berichteten im Blog-Beitrag vom 6.5.09).
gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer
Quelle: Christoff, K. et al. (2009). Experience sampling during fMRI reveals default network and executive system contributions to mind wandering. PNAS doi:10.1073/pnas.0900234106
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