Reden hilft

Seit Wochen schon kriselt es. Die Ausprache gestern war eine Farce. Es war falsch, was er behauptet hat. Es war demütigend, verletzend und vor allem falsch. Den ganzen Tag schon plagen Sie Gefühle von Ärger und Enttäuschung.

Beim Mittagessen treffen Sie einen Bekannten. Während des Gesprächs denken Sie an die misslungene Aussprache. Sie sind unkonzentriert. Als Ihr Gesprächspartner es merkt und fragt, was los sei, erzählen Sie es ihm. Er hört gut zu und fragt geschickt und unaufdringlich nach. Nach und nach fühlen Sie sich besser. Sie merken, wie Ihr Ärger und Ihre Enttäuschung nachlassen. Sie beschließen, das Thema noch einmal anzusprechen und eine Lösung zu finden.

Sich den Frust von der Seele zu reden hilft wirklich. Ein Freund, ein Therapeut oder ein Bekannter, der bereit ist, Informationen vertraulich zu behandeln – sie alle können mehr oder weniger helfen, negative Gefühle besser zu verarbeiten und Probleme lösungsorientiert anzugehen oder in einem neuen Licht zu sehen.

Die Hirnforschung bestätigt diese uralte Weisheit jetzt mit Hilfe neurophysiologischer Belege. Forscher der University of California entdeckten Gehirnareale, die für die Emotionsregulation während Gesprächen über negative Sachverhalte verantwortlich sind. Ihre Probanden sahen Bilder von traurigen oder verärgerten Menschen, während ihre Gehirne mittels funktioneller Magnetresonanztomografie untersucht wurden.

Die Probanden hatten zunächst die Aufgabe, den Personen, die sie sahen, Namen zu geben. Anschließend sollten sie die Gefühle der Menschen beschreiben. Im Vergleich zu einer Versuchspersonengruppe, die die Bilder einfach nur beschreiben sollten, war bei den Probanden, die den Bildern Namen gaben, die Amygdala aktiver – eine Gehirnregion, die für das Erkennen von negativen Emotionen und die Reaktion darauf zuständig ist. Sie gaben auch an, stärker emotional von den Bildern betroffen zu sein.

Während der anschließenden Beschreibung der Gefühle der Personen auf den Bildern ging die Amygdala-Aktivität allerdings deutlich zurück – sogar unter das Ausgangsniveau der Gruppe, die die Bilder einfach nur beschreiben sollte und damit keinen persönlichen emotionalen Bezug dazu hatte. Zugleich zeigte der ventrolaterale präfrontale Cortex (VLPC) bei der Beschreibung der Gefühle stärkere Aktivierung.

Der VLPC ist an der Impulskontrolle beteiligt und könnte helfen, starke emotionale Reaktionen zu unterdrücken. Dies könnte wiederum zur Folge haben, dass wir uns beruhigen, Abstand gewinnen und so wieder klar und lösungsorientiert denken können.

In den nächsten Jahren wird die Hirnfoschung weitere grundlegende Erkenntnisse über die Wirkungsweise heilender Gespräche zu Tage fördern. Sicher ist: Über Probleme, Ärger und Enttäuschungen bewusst zu sprechen trägt enorm zu deren Bewältigung bei.

gepostet i.A. von Dr. Stephan Lermer

Quelle: Lieberman, M. et al. (2007). Putting feelings into words: Affect labeling disrupts amygdala activity in response to affective stimuli. Psychological Science, 18, pp. 421-428

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